Sie ist Lebensader und Gesicht der Südstadt. Doch die Bochumer Straße und das Stadtteilzentrum brauchen Impulse und Erneuerung. Ein integriertes Stadtentwicklungskonzept (ISEK) soll helfen, die Verkehrssituation und Aufenthaltsqualität zu verbessern. Vorab sind Bürgerinnen und Bürger gefragt – im Netz und vor Ort.
Ideen für die Bochumer Straße und ihr Umfeld gibt es viele, aber nicht alle passen zusammen. Was aber wünschen sich die Süderinnen und Süder, die Gewerbetreibenden, die Menschen, die hier wohnen, arbeiten oder einkaufen gehen? Um das herauszufinden, startete die Stadt Recklinghausen im Frühjahr 2023 einen aufwändigen Beteiligungsprozess zunächst mit einer sechswöchigen Online-Befragung. Alle Einreichungen sind im Netz einsehbar und wurden vom Dortmunder Büro „plan-lokal“ gesammelt, aufbereitet, der Politik präsentiert und in einem vorläufigen Maßnahmenkatalog auf über 100 Seiten zusammengefasst. Die wesentlichen Bestandteile wurden am 18. Juni (nach Redaktionsschluss) bei einer Öffentlichkeitsbeteiligung im Bürgerhaus vorgestellt. Bis zum 21. Juli können in einer zweiten Online-Befragung hierzu weitere Anregungen gemacht werden (www.plan-portal.de/recklinghausen-sued-II). Im nächsten Jahr erfolgt dann der Beschluss über das ISEK im Rat.
Chance für 10 bis 15 Jahre
Der aufwändige Prozess hat gute Gründe – denn das ISEK Bochumer Straße ist eine einmalige Chance, die Stadtentwicklung in Süd voranzubringen. Deshalb soll neben der fachlichen Sicht der Planer auch das „örtliche Wissen und die Alltagsperspektive“ der Menschen in Recklinghausen Süd in die Analyse eingehen. Auf der Basis des ISEK kann die Stadt Recklinghausen ab 2025 Städtebaufördermittel einwerben, die zusammen mit der notwendigen Erneuerung der Bochumer Straße (L 551) aus Landesmitteln eine ansehnliche Investition ermöglichen könnten. Kurz: Es geht um zweistellige Millionenbeträge und die Planung für die nächsten 10 bis 15 Jahre. Wegen der hohen Bedeutung hat die Stadt räumlich klare Schwerpunkte auf die Bochumer Straße, den Neumarkt, die Marienstraße und den Ortsmittelpunkt Süd (Kreuzung bei der „Persiluhr“) gesetzt. Im Fokus stehen der Verkehr, die städtebauliche Neuordnung und Aufwertung sowie die vorausschauende Anpassung an den Klimawandel.
Michael Boß, 59, ist selbständiger Versicherungskaufmann für Signal-Iduna und fährt mit seinem Hund Cajun per Lastenrad fast täglich nach Herne. Die Bochumer Straße meidet er – zu gefährlich:
Auf der Bochumer Straße ist Radfahrern ein Streifen auf dem Fußgängerweg zugeteilt. Das führt immer wieder dazu, dass Radfahrer beim Abbiegen von Pkw übersehen werden, und auch das Miteinander von Fußgängern und Fahrradfahrern auf dem Bürgersteig ist gefährlich – zum Beispiel, wenn Kunden ein Geschäft verlassen und nicht daran denken, dass ihnen ein Fahrrad zum Verhängnis werden könnte. Die Fußgänger würden es sich wünschen, wenn die Drahtesel auf die Straße kämen – so wie in den meisten europäischen Großstädten, wo es bewusst für Fahrradfahrer eigene Streifen auf der Fahrbahnfläche gibt. Das ist auf der Bochumer Straße auch möglich, denn hier ist jede
Menge ungenutzter Platz von Verkehrsinseln, Abbiegespuren oder schraffierten Flächen. Man müsste die Pkw- und Lkw-Spur innen näher zusammenführen und Fahrradstreifen auf beiden Seiten anlegen. So könnten die Parkbuchten erhalten und die Bäume stehen bleiben. Übrigens, mir hat die Tempo-30-Zone im Rahmen der Baustellen auch als Autofahrer keinen Stress beschert. Warum also das nicht gleich beibehalten?“
Britta Spengler ist in RE-Süd aufgewachsen, liebt die Südstadt und führt seit 2020 „Britt‘s Bücherforum“, wo es neben Büchern und Spielen immer auch ein Lächeln oder freundliches Gespräch gibt:
Für Fußgänger und Radfahrer ist meiner Meinung nach genug Platz vorhanden, aber Tempo 30 auf der Bochumer Straße fände ich gar nicht schlecht. Generell wünsche ich mir, dass sich die Aufenthaltsqualität verbessert, zum Beispiel durch Sitzgelegenheiten vor den Geschäften wie in der Innenstadt, das wird gut angenommen. Gut wäre ein schönes Café, nicht zu weit weg vom Schuss, oder ein Restaurant als Treffpunkt nach Feierabend. Für Jugendliche gibt es zu wenig Möglichkeiten. Und manches ist gar nicht bekannt: So müsste man auf die Stadtteilbücherei und das Haus der Bildung mit Schildern auf der Bochumer Straße besser aufmerksam machen. Leider haben wir in letzter Zeit vermehrt Probleme mit Vermüllung. Hier könnten vielleicht schon mehr Abfalleimer helfen, oder auch Stadtteilkümmerer, die für mehr Sauberkeit sorgen. Schön finde ich, dass wir in Süd ein gutes Miteinander haben: Alle kennen sich, wir haben hier viele Nationalitäten und sind echt Multi-Kulti.
Osman Yilmaz, 39, Vorsitzender der Islamischen Kulturunion, die mit 500 Familien die größte muslimische Gemeinde im Kreis ist und auf der Bochumer Straße eine Moschee unterhält, u.a. mit Gottesdiensten in deutscher Sprache:
„Am wichtigsten ist, dass Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, besser geschützt werden! Es ist teilweise richtig gefährlich, besonders für Kleinkinder, Menschen mit Behinderungen, mit Kinderwagen oder Ältere, die auf den Rollator angewiesen sind. Man könnte die vorhandenen Inseln durch Zebrastreifen ersetzen und die ganze Bochumer Straße als Tempo-30-Zone ausweisen – am besten kontrolliert durch feste Blitzer wie auf der B 51 in Bochum. Im Moment leiden wir sehr darunter, dass wegen der Baustelle auf der A 43 so viele Lkw durch unseren Stadtteil fahren. Vielleicht ist ein Lkw-Verbot tagsüber möglich? Es muss doch nicht sein, dass hier der ganze Schwerlastverkehr durchfährt.
Im Stadtbild wirken einige Fassaden grau und marode, hier könnten Fördermittel für eine Verschönerung sorgen. Problematisch finde ich, dass auf dem Neumarkt manchmal offen Alkohol bzw. Drogen konsumiert werden, was zu Komplikationen mit Familien führt. Vielleicht könnte man den Spielplatz durch Begrünung oder bauliche Veränderung besser abgrenzen, oder umgekehrt den Konsumenten einen abgetrennten Bereich zuweisen.“
Stepniak